Frühere Glocken aus Ersatzlegierungen

Gussstahlglocken

Von 1851 bis 1970 wurden in Bochum vom Bochumer Verein im industriellen Rahmen Glocken aus Gussstahl gegossen. Bis Mitte der 1950er Jahre wurden über 20.000 Glocken hergestellt und in alle Welt exportiert, darunter so exponierte Exemplare wie die Friedensglocke von Hiroshima. Diese Zahl sank bis Ende der 1960er Jahre so weit ab, dass der damalige Eigentümer Krupp die Produktion einstellen ließ.

In der relativ kurzen Produktionszeit der Gussstahlglocken wurden viele verschiedene Rippentypen verwandt. Bis zum Jahre 1937 wurden die meisten Glocken in sogenannter Untermollsext-Rippe (der Unterton der Glocke steht zum Schlagton im Verhältnis zu einer Moll-Sexte) gegossen. Die daraufhin in Oktavrippe (Unteroktave = Unterton) gegossenen Glocken weisen einen erheblichen Klangfehler auf: Ihr Schlagton ist im Abstand einer Sekunde aufwärts verdoppelt und verursacht somit eine unangenehme Dissonanz. Aufgrund des entstandenen Drucks der Fachwelt wurde ab 1948 eine Versuchsreihe von 12 Oktavrippen (V-Rippen) entwickelt, von denen zunächst die extrem schwer konstruierte V-12-Rippe ausgewählt wurde; sie musste fortan an gekröpften Jochen (s. Aufhängung und Läuten) aufgehängt werden. Letztendlich wurde die V-7-Rippe als endgültig ausgewählt. Um 1958 wurde eine Dur-Rippe mit erstaunlich guter Resonanz entwickelt. Ein Beispiel hierfür ist die große c1-Glocke der St.-Gottfried-Kirche zu Münster.

Stahlglocken besitzen als Aufhängung im Gegensatz zu Bronzeglocken eine sogenannte „Tellerkrone“. Um bessere Klangergebnisse beim Läuten zu erzielen, werden oftmals die Klöppel mit Bronzebacken oder -puffern versehen. Zier und Inschriften wurden nicht eingegossen, sondern nachträglich aufgeschweißt.

Stahlglocken wurden zumeist als Ersatz für in den Weltkriegen zu Kriegszwecken beschlagnahmten Bronzeglocken erworben. Bedingt durch ihre kürzere Lebensdauer (Korrosion), die häufig unzureichende Klangqualität und die Tatsache, dass die neu angeschafften Stahlglocken oftmals zu groß dimensioniert waren, was mancherorts den Glockenturm stark belastet hat, sind viele dieser Stahlglocken in den vergangenen Jahren wieder durch Bronzeglocken ersetzt worden.

Vor dem Bochumer Rathaus steht eine 15.000 kg schwere (nicht läutbare) Gussstahlglocke mit einem Durchmesser von 313 cm. Sie wurde bereits 1867 für die Pariser Weltausstellung gegossen. Die „Kaiser-Ruprecht-Glocke“ (Nominal/Schlagton: es°) in der Stiftskirche in Neustadt an der Weinstraße ist mit 14.000 kg die schwerste schwingend geläutete Gussstahlglocke überhaupt und die zweitgrößte Glocke Deutschlands nach der St. Petersglocke im Kölner Dom.

Eisenhartgussglocken

Die bekannteste Glockengießerei, die Eisenhartgussglocken herstellte, war J. F. Weule aus Bockenem, beziehungsweise die mit der Glockengießerei Ulrich aus Apolda gegründete Ulrich & Weule. Aufgrund des sehr spröden Materials und der hohen Anfälligkeit für Rostansatz (mit 4 % hoher Kohlenstoffanteil) sind diese Glocken von nur kurzer Lebensdauer (max. 100 Jahre).

Die Klangeigenschaften können teilweise nicht einmal mit denen der Stahlglocke verglichen werden. Vergleicht man sie mit den Proportionen einer tongleichen Bronzeglocke, so fallen Durchmesser und Gewicht sehr hoch aus. Eisenhartgussglocken haben keine Krone. Die größte noch läutende Eisenglocke ist die „Christ-König-Glocke“ (b°, 4.500 kg) an St. Bonifatius in Frankfurt-Sachsenhausen.

Sonderbronzeglocken

Die Briloner Glockengießerei Albert Junker begann ab 1930 mit dem Guss sogenannter „Sonderbronzeglocken“, die aus einer zinnfreien (Messing-)Legierung mit ca. 92% Kupfer bestehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Schließung der Gießerei 1955 wurden etwa 3.000 Glocken aus Sonderbronze gegossen, die teils vom Klang her mit Bronzeglocken vergleichbar, teils von mangelhafter Qualität (kurzatmiger Nachklang) waren.

Zu den besten Geläuten zählen das neunstimmige Großgeläut (1948, auf gis°) für die Stiftskirche zu Baden-Baden und das sechsstimmige Geläut (1954, auf cis1) der Pauluskirche in Ludwigshafen-Friesenheim.

Zinkglocken

Glocken aus Zink wurden in den späten Kriegsjahren des Zweiten Weltkrieges aus einer Kupfer-Zink-Legierung hergestellt (Junker/Brilon und Petit & Gebr. Edelbrock/Gescher). Sie haben normalerweise keine Krone und sind im Resonanzverhalten äußerst matt, dumpf und kurzatmig. Ihr Gewicht beträgt zwischen 20 und 300 kg.

Euphonglocken

„Euphonglocken“ sind aus einer Kupfer-Zink-Legierung hergestellt worden. Die einzige Gießerei, die diese Glocken goss, war die des Carl Czudnochowsky aus Erding. Diese Gießerei blieb bis zum Jahre 1971 bestehen. Die größten Euphonglocken sind das f° in der Propsteikirche St. Joseph zu Gelsenkirchen-Schalke, „Hosanna“ (fis°, 5.250 kg) der Erzabtei Sankt Ottilien und die „Salvatorglocke“ (fis°, 5.650 kg) der Pfarrkirche Maria Hilf in München-Au.

Weißbronzeglocken

Die Glockengießerei Benjamin Grüninger aus Villingen goss sogenannte „Weißbronzeglocken“. Die aus einer Aluminiumlegierung gegossenen Glocken weisen wegen des extrem weichen Metalles eine sehr starke Abnutzung auf. Klanglich gesehen - praktisch kein Nachhall, sehr trockener, dumpfer Klang - dürften diese Ersatzglocken zu den schlechtesten ihrer Art zählen und sind somit schon rechtzeitig durch Bronzeglocken ersetzt worden.

Klangliche Problematik der Ersatzwerkstoffe

Die Ersatzmaterialien haben gegenüber der Glockenbronze andere Eigenschaften, die sich nachteilig auf den Klang auswirken. Die meisten weisen eine höhere Schallgeschwindigkeit auf und haben daher eine geringere Abklingdauer. Durch die höhere Porosität einiger Werkstoffe ist die Dämpfung größer, was sich ebenfalls negativ auf den Abklingvorgang auswirkt. Auch der Elastizitätsmodul spielt eine Rolle. Bei Gussstahl ist er erheblich höher, wodurch der Klöppel einen kürzeren Kontakt mit der Glocke hat und der Anschlag härter klingt.